Wir Menschen benutzen unseren Verstand oft, um ein bereits getroffenes emotionales Urteil zu bestätigen – während wir uns einbilden, ergebnisoffen Für und Wider zu prüfen. Unser Gehirn, sagt Jonathan Haidt mit einigem Bedauern, hat sich eben nicht dazu entwickelt, um in jedem Moment die Wahrheit zu enthüllen, sondern um uns beim Überleben in einer komplexen sozialen Umwelt zu helfen. Und da sind unser Ruf und unsere Stellung in der Gemeinschaft eben oft viel wichtiger als Wahrheit. Die Moraltheorie von Haidt hat viele interessante Implikationen, gerade für ethische Führung. Insbesondere zeigt sie, warum es so schwer ist, sachlich zu diskutieren, wenn moralische oder Machtpolitische Urteile im Spiel sind: Aufgrund des intuitiven Urteils, der nachgeordneten Begründungssuche, und aufgrund zum Teil unterschiedlicher moralischer Fundamente, greifen rationale Argumente oft ins Leere. Entsprechend ist es notwendig, bei Themen mit einer moralischen Bewertung zuerst eine positive gemeinsame Beziehung herzustellen. Man muss zuerst den „Elefanten“ dazu bewegen, sich in die gewünschte Richtung zu orientieren.

Die 6 Dimensionen moralischer Bewertungen nach Haidt

Fürsorge vs. Schädigung

Es ist unmoralisch, anderen Menschen Leid zuzufügen- also andere womöglich (unwissentlich) anzustecken. Dem „neuen“ Virus wird eine überaus große Gefahr zugeschrieben, die nur mit einem wie auch immer benennenden Lockdown oder Kontaktbeschränkungen zu begegnen ist, denn das Recht auf körperliche Unversehrtheit gehört zu den Grundrechten eines Menschen nach dem Deutschen Grundgesetz. Deshalb sollen wir den Grundsatz befolgen, sich so zu verhalten als wäre man selbst krank. Aber macht diese Vorstellung nicht erst recht krank? Wo bleibt dabei die Selbstfürsorge? Wir erleben einen Entmachtungsversuch auf die Selbstfürsorge durch eine übergriffige Fürsorge des Staates. Wenn ich mich habe ärztlich behandeln lassen, wurden mir vor OPs immer alle Risken erklärt, die ich dann eigenverantwortlich eingehen musste und dann auch wollte. Gegenwärtig besteht das Impfversprechen bestenfalls darin „einen nicht so starken Krankheitsverlauf“ zu erleiden. Ich bleibe ansteckend. Deshalb soll und kann das soziale Leben nicht zurück in die „Normalität“. Das Impfen kann doch bestenfalls eine mögliche Methode sein diese Krise zu bewältigen.

Wenn Automatismen und übliche Handlungsmuster nicht mehr funktionieren, empfinden wir etwas als Krise. Das definierende Kriterium einer Krise ist, dass unser Selbstbild und unsere Identität in Frage gestellt wird, was eine der größten psychologischen Bedrohungen für einen Menschen darstellt. Die Opferrolle hilft dabei nicht, sie macht einen nur wahrhaftig zum Opfer. Eine negative Grundbewertung von Dingen, ein Katastrophisieren, großer Pessimismus, auch das Einreden von Hilflosigkeit führen oft zu übertriebenen und vor allem unnötigen Stressreaktionen, die sehr erschöpfend sind. Das kann bei manchen Menschen zu einer psychischen Erkrankung führen. Sich seiner typischen Bewertungs- und Reaktionsmuster bewusst zu werden, ist oft der erste Schritt. So werden kreative Kräfte frei gesetzt , Menschen erfinden sich neu, verändern ihr Weltbild und können ihr Leben sogar zum Positiven verändern.

Aber: Woher kommt dieser Drang, diese Art von Fürsorge nach dem „durchimpfen“, wie das so viele Politiker jetzt in den Mund nehmen? Hier ein Vortrag der sehens-/hörenswert ist. Wir sind und bleiben selbst verantwortlich für uns. Die Annahme von Hilfe Dritter, konsultativ zur Stärkung des Immunsystems (hier ein Vortrag) ist geraten, das Outsourcen an Ärzte, ist doch das letzte Mittel, wenn unsere Selbstfürsorge nicht mehr reicht.

Fairness vs. Betrug

Hier geht um Gleichbehandlung bzw.um das Vermeiden von Benachteiligung. Alle sozialen Werte – Freiheit, Chancen, Einkommen, Vermögen und die sozialen Grundlagen der Selbstachtung – sind gleichmäßig zu verteilen, soweit nicht eine ungleiche Verteilung jedermann zum Vorteil gereicht. Heute jedoch werden Restaurants, Theater, Kinos oder Fitness-Center geschlossen, vollbesetzte Bahnen und Busse bringen Menschen zu Arbeitsstellen und Schulen. Ist das Gleichbehandlung? Ist das fair? Werden die Schüler und Lernenden nicht um Ihre Gestaltungsfreiheit betrogen? Künstler erleben ein Berufsverbot, während in den Fabriken unter C-Bedingungen gearbeitet wird. Es das ein fairer Umgang?

Loyalität vs. Verrat

Hier geht es um Bindung an Werte (z.B. AHA + Lüften Regel) und Einstellungen zu einer Bezugsperson oder zu Bezugsgruppen. Wer plötzlich, wie die FDP in die Opposition geht, ereilt in Teilfragen schon bald ein bayrischer Bannstrahl. Die Grünen können gar nicht staatstragend genug ihre Bereitschaft zu regieren unter Beweis stellen. Die Volksgemeinschaft ist zurück, meint Jan Fleischhauer. Das Ideal einer Gesellschaft, in der Egoismus und Eigensinn keinen Platz mehr haben und alle sich einem großen Ziel verpflichtet fühlen, war etwas aus der Mode geraten. Die Pandemie hat auch das verändert. Die Volksgemeinschaft ist jetzt das Virus-Kollektiv.

Wenn gestern noch Querdenker und Demos die „Superspreader (also Verräter) waren, wurden das die feiernden Jugendlichen und Reiserückkehrer, bis sehr bald in Garmisch diese als solche nicht ursächlich auszumachen waren. Das ist, jede Woche eine andere Sau durch Dorf treiben. Es braucht nicht viel, um sich außerhalb zu stellen. Die Maßstäbe, was akzeptabel ist und was nicht, schwanken. Das macht die Sache nicht leichter. Anfang Dezember galt der Weihnachtseinkauf noch als patriotische Tat, jetzt ist er also als asozial geächtet. (…) Schon der unüberlegte Genuss eines Glühweins kann einen zum Volksschädling machen. Was heißt Volksschädling? Zum potenziellen Mörder! Wer dachte, er könne das Weihnachtsfest retten, indem er schnell noch bei Amazon bestellt, dem redete der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet nun ins Gewissen. Die Losung: nicht online bestellen, sondern Gutscheine schreiben, die man dann im Januar oder im Februar einlöst – oder wann immer die Geschäfte wieder öffnen, wie Laschet in bemerkenswerter Offenheit sagte.

Respekt/Autorität vs. Geringschätzung

Hier geht es um hierarchisches Beziehungsmuster, Unterordnung und Akzeptanz von Verhaltensanweisungen. Polizeistreifen, um die Maskenpflicht durchzusetzen in Fußgängerzonen. Überall sitzen dann die Sittenwächter, beobachten den Nachbarn und melden.
Melden macht frei…hieß es beim Bund früher. Dem steht ein Humanistisches Menschenbild gegenüber.

Zitat
Da Autorität immer mit dem Anspruch des Gehorsams auftritt, wird sie gemeinhin für eine Form der Macht, für einen Zwang besonderer Art gehalten. Autorität jedoch schließt gerade den Gebrauch jeglichen Zwangs aus, und wo Gewalt gebraucht wird, um Gehorsam zu erzwingen, hat Autorität immer schon versagt.“ Hannah Arendt

Reinheit vs. Unreinheit

Hier geht es um Reinheit: Freisein von Verschmutzung, Unberührtheit. Im Hinduismus ist Reinheit das Vermeiden von Berührungen von Personen einer niedrigeren Kaste. Im Christentum ist Reinheit die Einhaltung der christlichen Tugenden, insbesondere der Keuschheit. Wiederherstellen können wir unsere Reinheit durch Waschungen, Opfergaben, Fasten, Beichte.

Die Hygiene, hier einmal als Reinheit gleichgesetzt, wird als Moment der Disziplinierung von Individuen und Regulierung der „Bevölkerung“ benutz und bedient sich begrifflich der medizinischen Normalität, bei der alles Abweichende von dieser medizinischen Normalität als pathologisch begriffen und in den Kategorien „gesund“ und „krank“ begriffen. Krankheit wird subjektiv empfundenen oder objektiv an feststellbaren Symptomen und Organ- und Funktionsbeeinträchtigungen festgestellt, die behandelt werden können oder müssen. Die Tage gab es das in der ARD den Film „Werk ohne Autor“ der in Aspekten auch dieses Thema berührte.

Der auffälligste Begriff dieses Jahr ist der des „social distancing“. Er kann als „soziales separieren“ verstanden werden. Härte klingt „absondern“. Verstehbar ist, dass ich einen anderen nicht anstecke und auf „Abstand“ gehe und die schon immer geltenden AHA-Regeln praktiziere. Soziale Distanz führt zu dem Konzept des Lockdowns, bei dem Menschen separiert werden. Gesunde sollen geschützt werden. Sie sollen sich aber auch wie ein „Infizierter“ verhalten oder als „symptomlos Kranker“ um andere nicht anzustecken.
Reinheit wir hergestellt durch Keuschheit…im Kontakt mit anderen, durch Waschungen …Hygienetücher in Supermärkten und übermäßiges Händewaschen zuhause und dem „Opfer des „maske-tragens“ sogar im Auto wenn man alleine unterwegs ist und im öffentlichen Bereich.

Dazu im Gegensatz beschreibt die Salutogenese, hier erklärt von Gerhard Hüther, Gesundheit als einen Zustand, in dem Menschen wenig krank… und Krankheit als einen, in dem sie wenig gesund sind. Zwischen diesen beiden Polen gibt es verschiedene Abstufungsgrade, wobei es darum geht die gesundheitlichen Anteile zu vermehren und dadurch gesünder zu werden. Denke ich so über mich, stärke ich alle Elemente der Selbstfürsorge und es entsteht eine Kohärenzgefühl, das unsere psychische Widerstandsfähigkeit erhöht und uns so hilft Herausforderungen zu meistern. Der Blick auf die Sinnhaftigkeit von Lebensvorgängen veranlasst Menschen dazu zu verstehen, dass ihre Handlungen einen Wert unabhängig vom Ausgang haben.

Das schließt die AHA-Regeln nicht aus, stellt sie aber in einen Kontext der Selbstfürsorge und würde einen weitaus differenzierteren Umgang im Leben herausfordern.

 

Freiheit vs. Unterdrückung

Hier geht es um Freiheit als Selbstbesitz und Selbstsein-Können. Negativ: Freiheit von etwas und Positiv: Freiheit für etwas

Gegenwärtig schwankt der Ton zwischen Kanzel und Kasernenhof, beziehungsweise zwischen Predigt und Anschiss. Ich werde störrisch, wenn man mich anschreit. Zu viel „Leugnung, Egoismus und Renitenz“ hätten den Lockdown unausweichlich gemacht, erklärte der ZDF-Chefredakteur Peter Frey im „heute journal“. Keine Ahnung, was beim ZDF los ist? (…) Oder sie sind dort alles heimliche Mitglied einer Art Fernseh-Opus-Dei, bei dem nur diejenigen weiterkommen, die besonderen Glaubenseifer zeigen und sich noch mehr geißeln. Einen interessanten Einblick in die Sendeanstalten liefert Dirk Pohlmann in diesem Vortrag.