Faszientraining soll geschmeidiger, schmerzfrei und leistungsfähiger machen. Doch was steckt dahinter? Welche Rolle spielt dieses uns bisher verborgene Bindegewebe wirklich? Bieten Faszien neue Möglichkeiten bei Therapien und Heilung? Oder sind Faszien nur bedeutungsloses Hüllmaterial?

Renommierte Forscher überall auf der Welt setzen sich mit dem Thema „Faszien“ auseinander. Prof. Carla Stecco revolutionierte mit ihrem Faszienatlas die Welt der Anatomie. Unter anderem sezierte sie die große Rückenfaszie, die offenbar als Verursacher für chronische Rückenschmerzen gesehen werden kann. Thomas Myers, Autor von „Anatomy Trains”, gilt als Faszien-Pionier. Der amerikanische Fachmann ermöglichte Einblicke in das riesige Ganzkörpernetzwerk, das den Menschen stabilisiert und aufrechterhält. Robert Schleip, einer der führenden deutschen Faszien-Forscher, zeigte Auswirkungen mangelnder Bewegung auf das hochempfindliche Fasziengewebe auf. Helene Langevin aus Boston untersucht, welche Rolle Faszien bei der uralten Heilmethode Akupunktur spielen.

Gemeinsam kommen alle Wissenschaftler zu der aktuellen Erkenntnis: Diese bislang unbeachteten Bindegewebsfasern sind zum einen Verursacher von Schmerzen und Erkrankungen, aber auch ein alternativer Ansatz für neue Heilungsmethoden.

Was sind Faszien?

Der Begriff Faszie (auch Fascie) kommt aus dem Lateinischen fascia und kann mit „Band“, „Bündel“ oder „Bandage“ übersetzt werden. Faszien sind passive Strukturen, die über keinerlei Eigenbeweglichkeit verfügen.

Dieses Bindegewebe (Faszien) kannst du dir wie eine elastische Hülle vorstellen, welche unserem Körper seine anatomische Form gibt. Ohne Faszien wäre nichts von unserem Körper an seinem Platz. Vielleicht hilft dir folgendes, besser zu verstehen, was die Faszie überhaupt ist und wie sie sich mit den Muskeln verbindet. Schneide eine Mandarine oder Orange in der Mitte durch. Du siehst dabei nicht nur das Fruchtfleisch, sondern auch weiße, hauchdünne Schichten. Diese faserigen Komponenten teilen die Mandarine / Orange in einzelne Stücke und stützen sie, halten sie zusammen.

Faszienstruktur

Faszien wurden lange Zeit vergessen, ignoriert, unterschätzt. Waren nutzlos. Heute weiß man, dass dieses, bis zu drei Millimeter dicke, verborgene Bindegewebe den gesamten Körper feinmaschig umhüllt. Nicht nur Muskeln werden von den Faszien durchdrungen, sondern auch Nerven, Knochen, Gelenke, Organe, selbst die Adern und das Gehirn. Somit sind alle Bestandteile des Körpers durch Faszien miteinander verbunden. An den Enden der Muskeln vereint sich die Faszie mit der Muskelsehne, welche sich am jeweiligen Knochen anheftet und so Bewegung ermöglicht.

Faszien existieren überall im Körper, in vielerlei Form und Beschaffenheit. Sie sind durchzogen von unzähligen Nerv- und Schmerzrezeptoren. Das macht das Bindegewebe zu unserem empfindlichsten Wahrnehmungsorgan. Und dieses Wahrnehmungsorgan ist in der Lage Schmerzen zu spüren, Druck und Schwingung wahrzunehmen, Temperaturunterschiede zu fühlen und Veränderungen der Körperbewegungen und dessen Lage im Raum zu verzeichnen. Und das soll bedeutungslos sein?

Woraus bestehen Faszien überhaupt?

Faszie ist nicht gleich Faszie. Je nach dem, an welcher Körperstelle sich die Faszie befindet, oder mit welcher Funktion sie beauftragt ist, variiert auch die Zusammensetzung oder Kombination ihrer Bestandteile.

Lockeres, faseriges Bindegewebe (z.B. in der Bauchhöhle zwischen den Organen zu finden oder in den unteren Hautschichten) enthält viel Flüssigkeit sowie Abwehr-Lymphzellen. Straffes Bindegewebe hingegen besteht vor allem aus Kollagen und bildet Bänder, Sehnen, sowie feste Hüllen, mit denen unsere Organe umgeben sind aber auch die dünne Schicht, welche unsere Muskeln umgibt. Dieses Gewebe weist eine parallele Anordnung der Fasern auf, wodurch diese Struktur extrem starken Zug aushält. Unregelmäßiges Bindegewebe (z.B. Unterhaut, Hirnhaut, Bauchfell, Brustfell) enthält wenig Flüssigkeit und Elastin, dafür aber besonders viele Fasern und dicke Kollagenbündel. Du siehst also, Faszie ist nicht gleich Faszie. Die genaue Zusammensetzung unseres Bindegewebes ist immer verschieden, um die jeweils geforderten Anforderungen bestmöglich zu bewältigen.

Die vier großen Bausteine sind
  • Bindegewebszellen (Fibroblasten) – sind aufbauende Zellen und Produzenten der Faszienfasern. Außerdem sorgen Fibroblasten für die Kommunikation der Zellen untereinander. Je nach Beanspruchung des Muskels werden die entsprechenden Mengen an Fasern gebildet. Innerhalb von zwei Jahren wird dein gesamtes Fasziengewebe runderneuert
  • Kollagen – ist ein Strukturprotein und sorgt für Struktur und Festigkeit. Kollagen ist reißfest und stark dehnbar
  • Elastin – ebenfalls ein Strukturprotein, welches sich durch seine enorme Elastizität auszeichnet. Du kannst es dir wie ein Gummiband vorstellen, dass immer wieder in seine ursprüngliche Ausgangsform zurückkehrt. Nur ohne dabei im Lauf der Zeit zu erschlaffen
  • Matrix – eine Flüssigkeit, die alles umgibt und verschiedenste Stoffe enthält, wie z.B. Abwehrzellen, Lymphzellen, Fettzellen sowie Nervenendigungen, Blutgefäße und Wasser

Die drei Schichten der Faszien

Oberflächliche Faszien

Diese befinden sich im Unterhautgewebe und bestehen aus lockerem Faszien- und Fettgewebe. Sie sorgen für Verschieblichkeit der Haut, schützen Nervenbahnen, fungieren als Durchgang für Lymphgefäße, Drüsen und Blutgefäße und schützen als Wasser- und Fettspeicher das tiefer liegende Gewebe vor möglichen Kompressionen von außen.

Tiefe Faszien

Sie besitzen die meisten Fasern und umhüllen und durchdringen Muskeln, Knochen, Bänder, Gelenkskapseln, Nervenbahnen, Blutgefäße. Innerhalb eines Muskels trennen sie die einzelnen Muskelfasern voneinander, so dass diese nicht aneinander reiben können. Am Ende eines Muskels vereinigen sich die tief liegenden Faszien mit der Sehne und ermöglichen so erst kraftvolle Bewegungen jeglicher Art. Aber sie schützen auch ganze Muskelgruppen vor dem gegenseitigen Reiben und sorgen als so genannte Bänder für den Zusammenhalt gleichgerichteter Sehnen (z.B. in Hand- und Fußgelenken).

Viszerale Faszien

Diese Faszien dienen als Aufhängung und Einbettung der inneren Organe (inkl. Gehirn) und sind für die Ortsstabilität jener verantwortlich. Bei Bedarf jedoch erlauben genau jene Faszien die reversible Verschieblichkeit (z.B. Schwangerschaft, Atmung, Unfälle). Beispiele für viszerale Faszien sind u.a. die Hirnhaut, der Herzbeutel oder das Bauchfell.

Funktion und Aufgabe der Faszien

Je nach Körperstelle unterscheiden sich Form und Aufbau der Faszie um den spezifischen Anforderungen bestmöglich nachkommen zu können. Faszien haben im Körper unzählige Funktionen und Aufgaben. Im Wesentlichen kann man sie grob in vier Funktionsgruppen einteilen:

  • Formen –umhüllen, schützen, polstern, stützen, geben Struktur
    Sie geben den Muskeln Form und Festigkeit und schützen sie vor Verletzungen, z.B. durch Reibung an Knochen und Gelenken, aber auch vor Reibung einzelner Muskeln aneinander
  • Kommunizieren – Reize und Informationen senden, weiterleiten und empfangen
    Faszien kommunizieren immer und jederzeit (z.B. zur Bewegung oder der Propriozeption), leiten Reize weiter und senden und empfangen Informationen
  • Bewegen – Kraftübertragung, Kraftspeicherung, Spannung, Dehnung
    Faszien sorgen für Kraftübertragung und Kraftspeicherung, sowie für Muskeldehnung und Spannungshaltung
  • Versorgen – Stoffwechsel, Flüssigkeitstransport, Nahrung
    Faszien versorgen sämtliche Körperregionen

Faszien sorgen auch für den elastischen Halt der Organe, die dadurch gleichzeitig reversibel verschiebbar sind. D.h. bei einer Schwangerschaft können Organe verschoben werden, ohne dabei verletzt oder in ihrer Funktion eingeschränkt zu werden und kehren dann wieder in ihre ursprüngliche Position zurück. Eine lebensnotwendige und zugleich erstaunliche Funktion!

Faszien sind sehr stark innerviert und haben sehr gute Verbindungen zum Rückenmark.

Faszien sind ein wichtiger Wasserspeicher. Wasser macht die Faszien gleitfähig und sorgt für die richtige Schmierung.

Faszien enthalten Abwehrzellen und tragen so als Teil der Immunabwehr der Gesunderhaltung des Körpers wesentlich bei.

Alle diese Funktion ergänzen oder bedingen einander. Alles ist miteinander verbunden. Aufgrund dieser Komplexität plädieren Forscher schon lange dafür, Faszien als Sinnesorgan zu betrachten. Somit müsste die Haut ihren Titel als „größtes Sinnesorgan des Menschlichen Körpers“ wohl abtreten.

Faszien als Ganzkörpernetzwerk – perfektes Zusammenspiel von Kopf bis Fuß

Wie wir bereits wissen, können wir Faszien aufgrund ihrer körperweiten Verbindungen und Empfindungen als „größtes Sinnesorgan des menschlichen Körpers“ bezeichnen. Die Faszien bilden sozusagen ein riesiges Fasziennetzwerk. Körperwahrnehmung, Kraftübertragung, Neurologie, Wundheilung, Schmerztherapie – es gibt kaum ein Gebiet, wo Faszien nicht eine wesentliche Rolle für Heilung, Schmerzlinderung, Verbesserung, usw. spielen.

Muskeln setzten Gliedmaßen in Bewegung, weil diese durch Sehnen und Sehnenplatten – also fasziales Gewebe – mit den Knochen verbunden sind. D.h. unser Skelett bietet nur eine gewisse Form und Ansatzpunkte für das weiche Gewebe, ist aber nur lose miteinander verbunden. Die losen Verbindungen einzelner Knochen kennen wir als Gelenke. Diese sind durch fasziales Gewebe wie Kapseln, Sehnen und Bänder miteinander verknüpft. Alle Verbindungselemente wie Sehnen, Bänder und sogar die Knochenhaut (umgibt den Knochen) bestehen aus Bindegewebe und gehören zum Fasziennetzwerk.

Die Faszien-Forschung spricht hierbei von Tensegrität (Tensegrity) – dieser Begriff setzt sich aus den Wörtern „Tension“ (Zugspannung) und „Integrität“ (Ganzheit, Zusammenhalt) zusammen. Ein perfekt arbeitendes inneres Zug-Spannungs-Netzwerk. Dieses Netzwerk erklärt, wie die Faszien als System arbeiten (Tensegrity-Modell). Das Tensegrity-Modell ist ein Gegenmodell zu unserem klassischen Denken und Wissen vom Skelett als tragende, stützende Struktur wonach die Wirbelsäule wie ein Zeltstab das gesamte restliche Zelt trägt und das Knochengerüst von den einzelnen Muskeln bewegt wird.

Beim tensegralen Gegenmodell gleiten die Knochen im Bindegewebe und die einzelnen Wirbel der Wirbelsäule ruhen nirgendwo mit Kompression abgebend übereinander, sondern hängen. Vorausgesetzt, dass die faszialen Elemente (im Modell die Gummis) eine gute elastische Vorspannung haben. Dabei kann z.B. auch ein einzelner Wirbel abgenutzt sein, könntest du trotzdem ohne Probleme Salsakönigin von Timbuktu werden.

Danach müssten wir, wenn all unsere Weichteile (Muskeln, Sehnen, Bänder, Faszien) aus dem Körper plötzlich verschwinden würden, in uns zusammenfallen wie ein Kartenhaus. Von dieser Perspektive aus betrachtet ergibt sich ein gänzlich anderes Bild von der Faszie. Doch mehr als nur Cellulite?

Anders ausgedrückt: Das Fasziennetzwerk sorgt als körperweites Informationssystem, als stabilisierender Faktor, als formgebendes- und formerhaltendes Element und gleichzeitig als flexibles Gewebe für die Integrität des menschlichen Körpers.

Hier mehr zu den faszienierenden Faszien

 

 

Quelle: Faszien faszinieren – Nur ein Hype oder Revolution – Fitness e!Motion (fitness-emotion.at)